Open Hiring: Chancengleichheit statt Lebenslauf

Eine Person hält ein Klemmbrett mit einer Warteliste, auf der zehn internationale Namen wie ‚Mark Evans‘, ‚Anna Müller‘, ‚Chen Wei‘ und ‚Fatima Khan‘ stehen. Der Hintergrund besteht aus einer warmen Holzoberfläche.

Der Arbeitsmarkt verändert sich – und mit ihm die Art, wie wir Talente finden und fördern. In Zeiten von Fachkräftemangel, demografischem Wandel und wachsendem Diversity-Bewusstsein suchen viele Unternehmen nach neuen Wegen der Personalgewinnung. Ein Ansatz, der dabei zunehmend Aufmerksamkeit bekommt: Open Hiring.

Was zunächst radikal klingt – Stellenbesetzung ganz ohne Bewerbung, Lebenslauf oder Vorstellungsgespräch – erweist sich in der Praxis als wirkungsvolles Konzept für mehr Chancengleichheit, Schnelligkeit und unternehmerische Verantwortung.
In diesem Artikel erfahren Sie, was hinter dem Modell steckt, wie es funktioniert und worauf es bei der Umsetzung ankommt.

 

Was ist Open Hiring?

Open Hiring ist ein innovativer Ansatz in der Personalgewinnung, bei dem klassische Auswahlverfahren wie Bewerbungsgespräch, Lebenslaufprüfung oder Hintergrundcheck vollständig entfallen. Stattdessen gilt das Prinzip:
Wer sich zuerst meldet, bekommt den Job – unabhängig von Qualifikation, Herkunft oder Erfahrung.

Ursprünglich vom US-amerikanischen Sozialunternehmen Greyston Bakery entwickelt, findet Open Hiring mittlerweile auch in Europa zunehmend Beachtung – insbesondere als Antwort auf den Fachkräftemangel und den Wunsch nach mehr sozialer Verantwortung in Unternehmen.

 

Prinzipien von Open Hiring

Open Hiring basiert auf folgenden Grundprinzipien, die einen deutlichen Kontrast zum herkömmlichen Recruiting darstellen:

  1. Radikale Offenheit: Keine Hürden beim Einstieg – jeder bekommt eine echte Chance.
  2. Vertrauensvorschuss: Unternehmen setzen auf das Potenzial und die Motivation der Menschen, nicht auf deren Vergangenheit.
  3. Inklusion & Chancengleichheit: Vorurteilsfreie Beschäftigung für Menschen mit erschwertem Zugang zum Arbeitsmarkt.
  4. Soziale Verantwortung als Haltung: Personalgewinnung wird Teil einer aktiven, nachhaltigen Unternehmenskultur.

Diese Werte sind nicht nur sozial, sondern auch wirtschaftlich relevant – sie schaffen langfristige Bindung und stärken das Arbeitgeberimage.

 

5 gute Gründe für Open Hiring

  1. Dem Fachkräftemangel begegnen:
    Unternehmen erschließen neue Talente, die in klassischen Bewerbungsverfahren oft übersehen werden.
  2. Rekrutierung beschleunigen:
    Ohne langwierige Auswahlprozesse können Stellen schneller besetzt werden – besonders hilfreich in Branchen mit hoher Fluktuation.
  3. Soziale Wirkung erzeugen:
    Unternehmen leisten einen Beitrag zur Integration von Menschen mit erschwertem Zugang zum Arbeitsmarkt.
  4. Diversity und Inklusion fördern:
    Open Hiring schafft ein vielfältiges, buntes Team – nicht als Imagefaktor, sondern als gelebte Realität.
  5. Employer Branding stärken:
    Arbeitgeber, die soziale Verantwortung ernst nehmen, positionieren sich attraktiver gegenüber Bewerbenden und der Öffentlichkeit.

 

Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung

Damit Open Hiring gelingt, braucht es mehr als nur einen neuen Recruitingprozess. Entscheidend sind:

  • Kulturelle Offenheit: Die Bereitschaft, gewohnte Auswahlkriterien in Frage zu stellen.
  • Klare Einarbeitungsprozesse: Strukturierte Onboarding-Programme und Lernbegleitung sind essenziell.
  • Interne Kommunikation: Führungskräfte und Teams müssen informiert und mitgenommen werden.
  • Flexibilität im Denken: Nicht die perfekte Passung zählt, sondern das Entwicklungspotenzial.
  • Soziale Unterstützung: Bei Bedarf sollten externe Partner (z. B. Integrationsdienste) einbezogen werden.

 

Für welche Bereiche eignet sich Open Hiring?

Open Hiring ist besonders dort sinnvoll, wo Tätigkeiten klar definiert und schnell anlernbar sind. Geeignete Bereiche könnten z. B. sein:

  • Produktion & Verpackung
  • Lager & Logistik
  • Reinigung & Hauswirtschaft
  • Gastronomie & Service
  • Pflegehilfsdienste
  • einfache Tätigkeiten im Einzelhandel

Auch soziale Unternehmen, Integrationsbetriebe oder kommunale Dienstleister profitieren vom Modell – ebenso wie Start-ups mit mutiger Kultur.

 

Chancen und Risiken im Überblick

Open Hiring bietet zahlreiche Chancen – sowohl für die Personalgewinnung als auch für die Unternehmenskultur. Einer der größten Vorteile ist die schnelle und unkomplizierte Besetzung offener Stellen, da aufwendige Bewerbungsprozesse entfallen. Zudem ermöglicht der Ansatz Unternehmen den Zugang zu neuen Zielgruppen, die in klassischen Auswahlverfahren häufig übersehen werden – etwa Menschen mit nicht-linearen Lebensläufen, Sprachbarrieren oder fehlender formaler Ausbildung.

Auch auf kultureller Ebene eröffnet Open Hiring Potenziale: Unternehmen, die auf dieses Modell setzen, schaffen gelebte Vielfalt im Team und positionieren sich als sozial verantwortungsbewusster Arbeitgeber. Das kann nicht nur die Mitarbeiterbindung stärken, sondern auch das Employer Branding positiv beeinflussen – insbesondere gegenüber jüngeren, werteorientierten Bewerbern.

Gleichzeitig bringt Open Hiring auch Herausforderungen mit sich. So kann der Einarbeitungs- und Unterstützungsaufwand höher sein, insbesondere wenn Mitarbeitende mit wenig Berufserfahrung oder Unterstützungsbedarf eingestellt werden. Das Modell eignet sich zudem nicht für jede Position – komplexe oder stark regulierte Tätigkeiten erfordern weiterhin eine sorgfältige Auswahl. Auch eine potenziell höhere Fluktuation kann anfangs auftreten, wenn neue Mitarbeitende sich (noch) nicht langfristig binden.

Ein weiterer kritischer Erfolgsfaktor ist die interne Akzeptanz: Wenn Führungskräfte oder bestehende Teams dem Ansatz skeptisch gegenüberstehen, braucht es gezielte Kommunikation und Sensibilisierung. Außerdem sollten Unternehmen sicherstellen, dass Begleitstrukturen vorhanden sind – etwa durch Lernpaten, Jobcoaches oder externe Partner, um neue Mitarbeitende gut zu integrieren.

 

Open Hiring einführen – So gelingt der Start

  1. Pilotprojekt definieren: Starten Sie mit 1–2 offenen Stellen, idealerweise in einem geeigneten Bereich mit offenem Team. Dies bietet die Möglichkeit, Erfahrungen zu sammeln und intern Akzeptanz aufzubauen.
  2. Transparente Kommunikation: Erklären Sie intern, warum Open Hiring getestet wird und was das Ziel ist.
  3. Warteliste statt Bewerbung: Interessierte melden sich über eine einfache Liste oder Online-Formular an. Statt einer Einladung zum Auswahlgespräch erhalten die Interessierten direkt eine Einladung zum Arbeitsstart.
  4. Onboarding strukturiert gestalten: Stellen Sie sicher, dass neue Mitarbeitende begleitet und strukturiert eingelernt werden, z.B. durch Lernpaten, Einarbeitungspläne und ggf. Jobcoaching.
  5. Evaluation einplanen: Holen Sie regelmäßig Feedback ein und justieren Sie bei Bedarf nach – sowohl bei neuen Mitarbeitenden als auch im Team.

 

Fazit & Handlungsempfehlung

Open Hiring ist kein Recruiting-Trend, sondern eine Haltung: Vertrauen in Menschen statt Vertrauen in Lebensläufe
Wer als Unternehmen diesen Weg bewusst wählt, schafft Potenzial für echte Veränderung, wenn Open Hiring gut vorbereitet und konsequent umgesetzt wird.

Wenn Sie glauben, dass Open Hiring zu Ihrem Unternehmen passt, dann überlegen Sie, ob es in Ihrem Unternehmen passende Einsatzbereiche gibt und starten anschließend mit einem kleinen, klar abgegrenzten Pilotprojekt. Vergessen Sie nicht, dabei offen zu kommunizieren, aktiv zu begleiten und aus den Erfahrungen zu lernen.